Pädagogisches Förderinstitut Sindelfingen :: Legasthenie-ABC
(Erfolgreiches) Lernen des Lesens und Schreibens
Die meisten Kinder erlernen das Sprechen vor Schulbeginn nahezu problemlos. Sie mögen es, wenn man ihnen vorliest und durch gemeinsames Singen und Gedichte erzählen bekommen sie ein Gefühl für die Rhythmik der Sprache. Beim Vorlesen wird auch das Interesse der Kinder für das Geschriebene geweckt, sie erkennen bald in ihrer Umwelt die sprachlichen Zeichen und wollen eigenen Namen schreiben. Es wird allmählich der Zusammenhang zwischen der gesprochenen und geschriebenen Sprache begriffen.
Viele Wissenschaftler und Pädagogen gehen davon aus, dass Lesen und Schreiben in Stufen erworben wird. Dazu wurde ein Schriftsprachenerwerbsmodell in den 80er entworfen und immer weiter verfeinert und weiterentwickelt (Kroner/Peschel 2004; Mechthild 1994; Renate 1997; Naegele 2003; Spitta 1988 etc.). Dabei geht man davon aus, dass der Weg zum Beherrschen des richtigen Schreibens und Lesens über mehrere Stufen von der Vorstufe („als-ob-schreiben/lesen“) über notieren der Lautabfolge (Alphabetische Strategie, die 2. Stufe bei Kroner/Peschel 2004) bis hin zur Berücksichtigung von Schreibregeln (Orthographische/morphematische Strategie) führt. Die Frage ist nun ja, was und auf welcher Stufe nicht funktioniert?
Ich habe bereits in der früheren Beiträgen geschrieben, dass Legasthenie bzw. Dyskalkulie keine Krankheiten (sondern Entwicklungsstörungen) sind und bloß (noch) nicht nachvollzogene Lernschritte bei den Kindern darstellen. Eine Erklärung für das Verzögern des Vollziehens eines dieser Lernschritte, und zwar gleich auf der zweiten Stufe des Schriftsprachenerwerbsmodells (Kroner/Peschel 2004), liefert möglicherweise Ähnlichkeits-Hemmung nach Paul Ranschburg (1905). Diese Ähnlichkeits-Hemmung beschreibt Probleme, die beim Merken und Lernen von ähnlichen Inhalten auftreten.
Jetzt fragt man sich, was das mit Legasthenie zu tun hat?! Nämlich sehr viel. Denn bei der Buchstabenvermittlung passiert folgendes: Über viele Jahre hinweg hören Kinder von Buchstaben, die mit einem entsprechenden Laut bezeichnet werden. Diese Buchstabenorientierung wirkt sich extrem hemmend auf manche Kinder aus. Denn einem Kind wird der Buchstabe „i“ gezeigt und gesagt: das ist ein [i], lautet so ziemlich ähnlich wie im Wort „mir“. Und dann werden dem Kind andere Worte mit dem gleichen Buchstaben und vermeintlich gleichem Laut präsentiert: Springen; bringen, irren, Bier etc.
Was passiert? Sie vermuten es bereits – die Ähnlichkeits-Hemmung tritt auf. Denn in jedem hier aufgeführten Wort klingt das „i“ unterschiedlich. Mal klingt es länger, mal kürzer und manchmal gar nicht wie „i“ im Wort „mir“. Wir haben hier gleiches Buchstabenbild (Graphem) aber unterschiedliche Laute, die dazu gehören. Den Kindern werden also Falschinformationen hinsichtlich der Laut-Zeichen-Zuordnung gegeben. Warum das nur bei einem Teil der Kinder zu Schwierigkeiten des Schreibspracherwerbs führt? Manche Kinder können Falschinformationen unbewusst ausblenden, die anderen nicht (vgl. Thome 2017, S. 71). Tatsächlich hat Thome mit seinen Mitforschern in durchgeführten Untersuchungen deutliche Hinweise auf „buchstabenbasierte Hemmungen“ erhalten.
Wenn diesen Hemmungen auf fachdidaktisch korrekte und professionelle Weise begegnet wird, treten relativ schnell erste Verbesserungen ein. Neben dem Abarbeiten einer definitiv behindernden Buchstabenorientierung ist die Förderung der lese- und schreibschwachen Kinder dann erfolgreich, wenn sie den Kindern hilft, die oben angesprochenen Strategien aus dem Schriftsprachenerwerbsmodell zu erwerben und zu festigen.